Diskussion der ÖWG am 3. Juni 2020
Post-Corona: Mit staatlich organisierter Kapitalherrschaft in ein neues, kybernetisches Zeitalter
Die ÖWG hat am 3. Juni 2020 eine Diskussion über die Coronakrise abgehalten, die allerdings in einem kleineren Kreis und nicht in einem öffentlichen Lokal stattfand. Unter der Diskussionsleitung von ÖWG-Vizepräsident David Stockinger hielt zunächst der Historiker Hannes Hofbauer, Leiter des Promediaverlags, einen Vortrag über „Post-Corona: Mit staatlich organisierter Kapitalherrschaft in ein neues, kybernetisches Zeitalter“.
Nach einleitenden Worten, in denen er darauf hinwies, dass die Gefährlichkeit des Virus von den Maßnahmen dagegen übertroffen zu werden droht, sprach er über die zu erwartenden Folgen des Lockdown, die in vieler Hinsicht gewaltig und zerstörerisch sein werden. Die gesundheitlichen Folgen im Zuge des Aufschiebens von notwendigen medizinischen Eingriffen streifte Hofbauer ebenso wie soziale, psychische, bildungsmäßige und kulturelle Schäden, um sich dann den wirtschaftlichen und politischen Aussichten zu widmen.
Zwei zu erwartende Phänomene standen im Mittelpunkt der Ausführungen: Konzentrationsprozesse in vielen Branchen der Wirtschaft und die Festigung bzw. Herausbildung neuer Leitsektoren. Beides findet vor einer gestärkten Rolle des Staates und einer geopolitischen Machtverschiebung statt.
Die Schließung des gesellschaftlichen Lebens inklusive Ausgangssperren bewirkt in ökonomischer Hinsicht, dass die Kapitalstärkeren überleben. Nach dem Muster des Lebensmittelhandels wird das in vielen anderen Branchen ein Zurückdrängen von Eigentümer-geführten Klein- und Mittelbetrieben und deren Ersetzung durch Ketten oder gar Monopolisten bewirken. Das krasse Beispiel des Handels zeigt die Richtung, in die es geht. Während der stationäre, oft örtlich strukturierte Handel in vielen Ländern der EU auf staatliche Anweisung hin zwei Monate geschlossen bleiben musste, übernahm der weltgrößte Onlinehändler das Terrain. Amazon stellte in den Lockdown-Monaten März und April 2020 175.000 neue Beschäftigte ein, das Vermögen von Amazon-Boss Jeff Bezos nahm im selben Zeitraum um 10 Mrd. US-Dollar zu.
Gewichtiger als der Konzentrationsprozess könnte eine Wende vom industriellen zum kybernetischen Zeitalter sein. Diese zeichnet sich schon seit längerem ab, erhält nun aber durch die staatlichen Interventionen eine völlig neue Dimension. Neue Leitsektoren eines biotechnisch-pharmazeutisch-kognitiven Komplexes helfen der kapitalistischen Verwertungskrise, die spätestens mit der Weltwirtschaftskrise 2007/08 virulent wurde, aus der Patsche.
Nanotechnik, Robotik und Künstliche Intelligenz sind technische Zutaten einer kybernetischen Wende, deren Spezifikum eine Nachfrage nach Optimierung und Personalisierung von Produktionsprozessen ist. Diese wiederum stellen ein Einfallstor für Kontroll- und Überwachungstechniken dar. Die Maßnahmen gegen die Verbreitung von Covid-19 – wie Testen, Tracken und Selbstoptimieren – sind ein gesundheitlich argumentierter Einstieg, der auf alle Lebensbereiche ausgedehnt werden kann. Damit droht auch der Mensch in seiner Körperlichkeit zum Objekt von Kommodifizierung zu werden. Es hat sich – scheinbar – herausgestellt, dass der Mensch als Produzent einen Unsicherheitsfaktor darstellt, anfällig für Viren und Krankheiten. Sein schlechtes Immunsystem (verstärkt durch neue Kulturtechniken wie Maske-tragen, keine Hand geben, Abstand halten) kann, den Apologeten der biotechnisch-pharmazeutischen Wende zufolge, mit Medikamenten, Impfungen und dergleichen kompensiert werden. Während der Mensch also im Produktionsprozess durch Roboter und künstliche Intelligenz ersetzt wird, kann an seiner Körperlichkeit verdient werden.
Abschließend wurde noch besprochen, dass dies alles vor dem Hintergrund eines geopolitischen Hegemoniewechsels weg vom transatlantischen hin zum ostasiatischen Raum stattfindet.
Keine Panik in Belarus
Im Anschluss daran sprach der Osteuropahistoriker Peter Bachmaier, Präsident der ÖWG, über „Keine Panik in Belarus“. Er hob den eigenständigen Weg von Belarus in der Coronakrise hervor. Präsident Alexander Lukaschenko hat die Coronaepidemie als „Psychose“ bezeichnet und sich geweigert, eine Quarantäne über das ganze Land zu verhängen. Belarus ist das einzige Land, das nicht stillgelegt wurde. Die Betriebe und Geschäfte, die Gastwirtschaften, Schulen, Universitäten und Kirchen sind nicht geschlossen, sondern geöffnet und arbeiten weiter. Eine Stillegung der ganzen Wirtschaft würde das Land nicht überleben, sagte Lukaschenko.
Das heißt aber nicht, dass die Epidemie in Belarus nicht existiert, und dass nichts dagegen getan wird. Die Epidemie ist im März auch nach Belarus gekommen, und das Land war auch darauf vorbereitet. Es gab einen umfassenden Plan zur Bekämpfung der Epidemie.
In Belarus wurde das sowjetische Gesundheitssystem nicht zerstört, wie in anderen ex-sowjetischen Ländern. Es gab aus der sowjetischen Zeit noch Krankenhäuser für Infektionskrankheiten, Vorsorgemaßnahmen für eine Epidemie mit medizinischer Ausrüstung, Instituten für Virologie und Epidemiologie, und geschultes Personal. Das belarussische Gesundheitswesen war in der Lage, alles zu bewältigen.
Nach Angaben der UNO war Belarus für die Krise gut vorbereitet, weil es über 41 Ärzte, 114 Krankenschwestern und 110 Krankenhausbetten pro 10.000 Einwohner verfügt. In den fortgeschrittenen europäischen Ländern ist der Durchschnitt dagegen: 30 Ärzte, 81 Krankenschwestern und 55 Krankenhausbetten.
Präsident Lukaschenko hat die Weltgesundheitsorganisation WHO zu einem Besuch in Belarus eingeladen. Die Delegation kam im April und erklärte, dass alles in Ordnung ist und gab einige Empfehlungen, die weitgehend befolgt wurden. Jeder kann selbst entscheiden, wie er sich und seine Familie schützt, ob er die Kinder in die Schule schickt oder nicht. Es gibt keine Panik, die Epidemie ist unter Kontrolle.
Es gibt in Belarus eine Freiwilligenbewegung unter den Menschen, die eine Tradition hat. Eine Bürgerinitiative sammelte 2 Mio. Euro für Ärzte und Krankenschwestern. In den Häusern gibt es Kundmachungen mit Telefonnummern, an die man sich wenden kann, wenn man etwas aus der Apotheke braucht. Taxifahrer befördern Patienten und Ärzte gratis, Restaurants liefern Essen gratis an Patienten und Spitäler. Die Stadt Minsk stellte den Ärzten und dem medizinischen Personal zwei Hotels zur Verfügung.
Auf Grund des wirtschaftlichen Abschwungs in den wichtigen Partnerstaaten hat Belarus einen relativ spürbaren Konjunkturrückgang erleben müssen. Aber wenn sich die Staaten wieder öffnen, wird Belarus in der Lage sein, seine Wirtschaft schnell wiederherzustellen, wie sich Präsident Lukaschenko am 25. Mai äußerte.
Nach dem Stand vom 1. Juni 2020 sind in Belarus 43.000 Menschen mit positivem Corona-Test registriert worden, was 8,7% der Anzahl der durchgeführten Tests beträgt. Nach den Angaben des Gesundheitsministeriums wurden 18.000 mit Corona-Virus Infizierte geheilt und entlassen. Bisher sind nur 215 Menschen an Corona-Virus (Covid 19) gestorben.[1]
Die Militärparade zum 9. Mai 2020
Der Präsident hat dem internationalen Druck nicht nachgegeben und auch als einziger Staat in Europa am 9. Mai 2020 eine Militärparade aus Anlaß des Tages des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg in Minsk abgehalten. Das war von großer Bedeutung, weil die Geschichte als Waffe benutzt wird, um Konflikte in der Gegenwart auszutragen.
Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko erklärte dazu in seiner Rede auf der Militärparade: „Wir konnten einfach nicht anders, wir hatten keine andere Wahl…Die Lehre der Geschichte ist einfach und gerecht – jedes Volk, das sein Heimatland, seinen Boden und die Zukunft seiner Kinder verteidigt, ist unbesiegbar.” Die Militärparade brachte eindrucksvoll die Unabhängigkeit des belarussischen Staates zum Ausdruck. Die ÖWG hielt am 9. Mai ebenfalls eine Gedenkveranstaltung in Wien beim Denkmal der Roten Armee ab.