Belarus wählt

OSZE-Beobachter dürften sich ihr Urteil schon vor Abstimmung am Sonntag gebildet haben

Für die am Sonntag stattfindenden Wahlen in der Republik Belarus wurden nach Auskunft der Zentralen Wahlkommission in Minsk 363 Kandidaten, das sind 90 mehr als bei den Wahlen 2008, registriert.Ursprünglich waren acht Parteien zu den Wahlen angetreten. Die Liberal-Demokratische Partei, die Kommunistische Partei von Belarus, die Republikanische Partei für Arbeit und Gerechtigkeit sowie die Partei für Soziales und Sport stehen dem Regierungslager nahe. Für die Opposition ins Rennen gehen sollten die Vereinigte Bürgerpartei, die Belarussische Volksfront, die Sozialdemokratische Partei und die Belarussische Partei der Linken – Gerechte Welt (früher Partei der Kommunisten von Belarus). Aber Bürgerpartei und Volksfront, die mit Abstand stärksten Bataillone der Opposition, haben inzwischen, wohl in der Hoffnung, die Wahlen als reine Regierungsveranstaltung bloßstellen zu können, auf ein Antreten verzichtet.Nach Angaben des Leiters der OSZE-Beobachtermission, Antonio Milososki, werden 36 Langzeit- und 270 Kurzzeitbeobachter aus ungefähr 20 Ländern in Belarus tätig sein. Darüber hinaus hat die Wahlkommission mehr als 900 nationale Beobachter, von denen 880 politische Parteien und NGOs vertreten, akkreditiert. Erfahrungsgemäß werden die »Internationalen« mit im voraus ausgestellten Formularen, in denen den Wahlen das denkbar schlechteste Zeugnis – »in keiner Weise europäischen Standards entsprechend« – ausgestellt wird, ihre Mission in Angriff nehmen.

Die Republik Belarus ist in der Tat keine »lupenreine Demokratie« westlichen Typs. Wobei sich die Frage stellt, wie lupenrein Demokratien sind, die in Zeiten ökonomischer und sozialer Krisen ohne militärische Kraftanstrengung ihres parlamentarischen Gehalts beraubt und in eine »zivile Junta« transformiert werden können, wie dies unlängst in Griechenland und Italien geschehen ist. Belarus ist eine Präsidialrepublik, in der das Staatsoberhaupt über sehr weitgehende Vollmachten verfügt. Der Parlamentarismus à la Belarus trägt sowohl Züge des bürgerlichen Parteiensystems als auch eines plebejischen Demokratismus aus den sowjetischen Zeiten der verdienten Traktoristen des Volkes. Alexander Lukaschenko, der als einziger unter den Präsidenten der postsowjetischen Republiken nicht aus der alten Nomenklatura kam, war damals Vorsitzender eines staatlichen Agrarbetriebes. Die unter seiner Ägide 1996 ausgearbeitete Verfassung wurde von 70 Prozent der Wahlberechtigten befürwortet. Der Parteienwettbewerb ist für das politische System in Belarus nicht von konstitutiver Bedeutung. Die vom Präsidenten ausgehende Machtvertikale ist an keine bestimmte Partei gebunden.

Seine anhaltende Popularität verdankt Lukaschenko einer Wirtschafts- und Sozialpolitik, die auf graduelle Reformen in Richtung einer sozial verträglichen Marktwirtschaft setzt und deshalb auch eine klare Absage an die neoliberale Schocktherapie beinhaltet. Belarus war die erste Ex­sowjet­republik, die im Jahr 2005 das Bruttoinlandsprodukt der Ära vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder erreichte: 120 Prozent des Niveaus von 1990. Zum Vergleich: In Rußland waren es 85 Prozent, in der Ukraine 60. Das liegt nicht zuletzt auch daran, daß die Machtvertikale das Entstehen einer oligarchischen Oberschicht zu unterbinden wußte. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgte nicht auf Kosten der sozialen Sicherheit. Die Erfolge des belarussischen Modells stellten somit eine eindrucksvolle Widerlegung der neoliberalen Reformlogik dar. Grund genug für die westliche Reformzentrale, das zwischen EU und Russischer Föderation gelegene Land zu den Schurkenstaaten zu zählen und zum Regimewechsel auszuschreiben.

Die globale Wirtschaftskrise hat auch die Republik Belarus erfaßt. Das liegt vor allem am Rückgang der ausländischen Nachfrage und an den Preissteigerungen bei den Energieressourcen auf dem Weltmarkt. Das neoliberale Establishment, darin geübt, die kapitalistische Krise als Chance zu nutzen, wird sich auch die Gelegenheit, die eigensinnige Exsowjetrepublik doch noch in die Knie zu zwingen, nicht entgehen lassen wollen. Die OSZE-Wahlbeobachter sollen das Ihre dazu beitragen.

Werner Pirker, junge Welt 21.09.2012
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